Vorab
Die 3 Tage LEARNTEC-Fachmesse in Karlsruhe haben gelohnt, ich würde wieder hinfahren und auch die LEARNTEC weiterempfehlen. Die Messe war noch stärker besucht als letztes Jahr, hatte ein modernes Ambiente und viele Mitmach- und Ausprobierecken, unzählige Fach- und Firmenvorträge sowie Aussteller zu allen Aspekten rund um “digital learning”. Was fehlte mir? Der Lärmpegel war sehr hoch und es gab leider kaum ruhige Bereiche oder Sitzplätze, wo man als reiner Messebesucher mal zum Reflektieren, Planen oder einfach Austauschen mit Kolleg*innen kam. Bei dem großen Besucherandrang war die Learntec somit ein ausgesprochen stressiges Vergnügen. Umso wichtiger eine gute Vorplanung, und da war ich dankbar für die LEARNTEC-App, in der man sich vorab über die verschiedenen Messe-Foren informieren und einen Zeitplan zusammenstellen konnte sowie eine Liste ausgewählter Aussteller. Die räumliche Verortung der Standbenennungen habe ich auch nach zig Jahren noch nicht verstanden, umso dringender nötig war für mich der Hallenplan. Vielfach hörte ich von anderen Besuchern, dass sie nur einen Tag Zeit hatten und nur einen kleinen Teil ihrer Planungen geschafft haben - vielleicht auch wegen der weiten Wege und des Andrangs? Meine Smartwatch freute sich jedenfalls über die Schrittzahl an den Messetagen… Letztendlich habe auch ich an 3 Tagen nicht alles geschafft, aber dafür auch Entdeckungen gemacht, die nicht eingeplant waren. Wie immer auf der LEARNTEC ging es mir um einen Blick über den Tellerrand “Hochschule & E-Learning” hinaus. Trends, Inspiration und ein Überblick über den Status Quo waren mir dabei ebenso wichtig wie Gespräche mit Ausstellern und Fragen nach EDU-Preisen zu uns aktuell interessierenden Themen. Mein Dank geht an viele Aussteller, die sich Zeit genommen haben, obwohl ich zu Beginn kein konkretes Kaufinteresse geäußert habe.
Trends
Mein Eindruck: Nicht ein oder zwei Themen dominierten die Veranstaltung, sondern die Themenvielfalt: DigitalPakt Schule, Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR), Künstliche Intelligenz und Analytics, Games u.v.m.
Die Trendforum-Überblicks-Keynote “The future of learning in a digital world” von Stéphan Vincent-Lancrin wies gleich zu Beginn darauf hin, dass China einen Anteil von über 50% am globalen EDU-Venture-Capital-Investment habe. Weiter ausgeführt wurden von ihm dann Varianten von Learning Analytics incl. Classroom Analytics, die Notwendigkeit von “Rethinking Assessments and Exams” (aufgrund Simulationen, Games und zunehmender Verlässlichkeit von Machine Rating), Personalized Learning (learning material) und Classroom Robotics (nicht nur für Coding sondern social robots als teaching aides). Um Studierende auf die Zukunft vorzubereiten (andere skills als heute werden wichtiger und innovate Jobs haben andere Anforderungen), sprach er über “8 Design criteria for good lessons”: 1. Create students need/interest to learn / 2. Be challenging / 3. Develop clear technical knowledge in one domain or more / 4. Include the development of a “product” / 5. Have students co-design part of the product/solution or problem / 6. Deal with problems that can be looked at from different perspectives / 7. Leave room for the unexpected / 8. Include space and time for students to reflect and give/receive feedback Und dann gibt es natürlich noch die künftigen Herausforderungen der Digitalisierung in der Bildung: How to make sure industry solutions are efficient and effective? / Do the benefits outweigh the costs? / Data privacy/protection, open standards and interoperability / What boundaries should be set to keep it human-centered?
Am zweiten Messetag gab es im Trendforum die Podiumsdiskussion “Künstliche Intelligenz - wo steht Deutschland, und wo will es hin?” Matthias Hornberger, Christopher Kränzler und Peter Henning sprachen in diesem einstündigen Format über ihre Einschätzungen und Thesen. Ich habe daraus mitgenommen, dass kritisch gesehen wird, dass sich bei uns zu wenig hinsichtlich KI tut - abgesehen von Ethikdiskussionen. Als weitere Hindernisse wurden im Verlauf der Diskussion die Bürokratie genannt, der Mangel an der Entwicklung von Anwendungen (”Umsetzungsproblem”) und ein kulturelles Problem in Deutschland, welches im langsamen Annehmen neuer Technologien besteht. Grundlage für KI sind Daten und da hätten wir als Wettbewerbsnachteil den persönlichen Datenschutz. KI heiße nicht, dass automatisch Jobs wegfallen, sondern KI sollte eigentlich eher “Augmented Intelligence” heißen, da sie ja Menschen helfen soll, Aufgaben besser zu erledigen oder “Künftige Informatik”, da das meiste nur regelbasiert sei und nicht KI. KI könnte im Bildungsbereich für individuelle Lernangebote hilfreich sein, zum Sprachen lernen oder auch für das Erkennen gefährdeter Personen (Konfliktfeld Wunsch und Ethik).
Augmented Reality /Virtual Reality
Zum Thema AR/VR besuchte ich in den drei Tagen viele Vorträge und Messestände. Darüber hinaus wurde das Thema dank der sehr guten ca. einstündigen “Guided Tour” von Torsten Fell - in deren Genuss ich nach 2019 nun schon zum zweiten Mal kam - am Beispiel von 15 (!) (Kombi)-Messeständen gut beleuchtet: Das Spektrum reichte dabei von Agenturen zur Erstellung von hochprofessionellen AR- und VR-Anwendungen über Anbieter von Autoren-Software bis hin zu ganz konkreten Einzelanwendungen für Schule oder Beruf oder Ehrenamt - Soft Skills-Training erschien mir hier ein recht neuer Schwerpunkt.
Schön war, dass ich an einem Messestand die Gelegenheit hatte, die neue HoloLens2 kurz auszuprobieren. Die HoloLens wird ja schon seit Jahren in Industrie und Trainings erfolgreich eingesetzt, meist für Wartungsarbeiten, aber wie im Falle des Berichtes des TÜV Rheinlands auch für Klassenraum Trainings (laut Befragung sehen 95% dabei einen Mehrwert). Des weiteren wird beim TÜV Rheinland auch die Oculus Quest genutzt, die durch technologischen Fortschritt alles Benötigte für ihr Brandschutz-Szenario bietet.
Auf der AR/VR-Podiumsdiskussion mehrerer Agenturen/Aussteller war man sich einig, dass nun der Hype vorbei sei und jetzt ernsthafte (und wiederkehrende) Kunden da seien. Dem entgegen stehen allerdings diesbzgl. auch andere Eindrücke und das Problem, dass ein Firmen-Linien-Budget für AR/VR (noch) nicht vorgesehen sei.
Im Mittwochs-Slot “Morning Buzz” zum Thema VR/AR-Markt in China habe ich mich darüber gefreut, dass hier ein Mediziner (und langjähriger VR-Experte) des Uniklinikums Heidelberg, mit dem ich auch schon in Kontakt stehe, von seinem VR-Konferenz-Besuch in China berichtete. In China, wo im Kontext einer Langzeitstrategie das Thema von der Regierung stark gepusht und unterstützt wird, sei die Akzeptanz für VR groß, viele kleine Startups stünden im Wettbewerb für Soft- und Hardware und auch die Nutzeransprüche an user experience seien andere als bei uns.
Klassenmanagement ist ja ein bereits bekanntes VR-Thema und die Kollegen der Uni Potsdam stellten ihr Projekt vor, um Komplexität zu manipulieren anhand der Merkmale “Art der Aufgabe” und “Anzahl der simulierten Ereignisse” - Konkret: Haben Studierende das Fehlverhalten der Schüler überhaupt gesehen und wie sind sie damit umgegangen? Die Nutzung erfolgt entweder als (aufgezeichnete) Einzelsession in VR oder gleich als Gruppen-Session über Smartboard und mit Diskussion.
In einem anderen Vortrag wurden Aspekte von VR & Ethik diskutiert; noch ist hierbei Vieles unklar und als “Risiken und Nebenwirkungen” wurden u.a. genannt: Fehlende Standardisierung von Hard- und Software, Entfremdung & Soziale Isolation, Diskriminierung, Gefahr des Missbrauchs, Datenschutz und Privatsphäre
Interessant für Leser*innen ist vielleicht auch der Hinweis auf die diesjährigen Immersive-Learning-Award-Gewinner, die am Mittwoch bekannt gegeben wurden (Link zu Torsten Fells Kurzbeitrag: https://www.immersivelearning.news/2020/01/30/recap-mittwoch-2-tag-learntec-2020-vr-ar-area-bunt-war-es-heute/)
Am 24. März 2020 werde ich seitens des E-Learning-Centers wieder einen Kurs für Lehrende zur niederschwelligen Einführung in die Thematik “AR/VR in der Hochschullehre” anbieten - Anmeldungen bitte über das “Interne Bildungsprogramm der Universität Heidelberg”.
Hochschulen
Im Rahmenprogramm der LEARNTEC gab es auch 2020 wieder eine halbtägige Konferenz “Digitale Hochschule”. Hier war viel von Vernetzung zu hören und darüber “Vom Reden ins Handeln zu kommen”. Aus zeitlichen Gründen konnte ich nicht das komplette Angebot wahrnehmen.
Die Virtuelle Hochschule Bayern stellte ihr im Juli 2019 gestartetes freies Online-Kursangebot OPEN vhb mit inzwischen 39 Kursen vor: https://open.vhb.org/. Im Unterschied zum CLASSIC vhb-Kursangebot handelt es sich dabei um vollständig offene Kurse, die als Selbstlernumgebung zeitlich und örtlich flexibel absolviert werden können. Diese qualitätsgesicherten kostenfreien Kurse sind nicht für die Anrechnung auf das Hochschulstudium konzipiert, und eine tutorielle Betreuung ist nicht vorgesehen.
Zum Abschluss der Konferenz stellte Johannes Moskaliuk ein im Rahmen des Projektes “#LearnMap” erstelltes Bechmarking-Tool für Strategien und Erfolgsfaktoren vor. Das Tool soll Hochschulen einen Vergleich darüber ermöglichen, wo die eigene Hochschule im Hinblick auf die Digitalisierung der Lehre steht und auch bei der Erhebung des Ist-Zustandes helfen. Das Projekt läuft noch bis Ende Februar und das Tool soll demnächst über e-teaching.org verfügbar gemacht werden. Das Tool umfasst folgende 11 Handlungsdimensionen: Leitbild, Strategie, Verantwortlichkeiten & Entscheidungsstrukturen, Innovationskultur, Finanzierung & Ressourcen, Infrastruktur & Ausstattung, Qualitätsmanagement, Support, Anreizsysteme, Rechtliche Rahmenbedingungen, Didaktische Aspekte. Die Folien seines Vortrags hat Johannes Moskaliuk hier zur Verfügung gestellt: https://www.moskaliuk.com/wo-steht-meine-hochschule-in-blick-auf-die-digitalisierung-der-lehre-ein-benchmarking-tool-fuer-strategien-und-erfolgsfaktoren/
Im Branchenforum university@LEARNTEC gab es am zweiten Messetag ein umfangreiches Vortragsprogramm. Hier nur ein Hinweis auf das interessante Mannheimer Modell Data Literacy Education (modal) an der Hochschule Mannheim. Studierende aller Bachelor-Studiengänge trainieren hier anwendungsorientiert den planvollen, kritischen und verantwortlichen Umgang mit Daten. Zum Thema Kompetenzen wurde im Vortrag u.a. auf diese HFD-Publikation von 2019 hingewiesen: “Future Skills: Ein Framework für Data Literacy” (Link: https://hochschulforumdigitalisierung.de/sites/default/files/dateien/HFD_AP_Nr_47_DALI_Kompetenzrahmen_WEB.pdf). Weitere Informationen zu modal s. https://www.modal.hs-mannheim.de/
Kurz reingeschaut auf dem Weg zu einer anderen Veranstaltung habe ich bei der Preisverleihung “delina 2020″, als dort gerade die Sieger der Kategorie “Hochschule” verkündet wurden. Und der Gewinner 2020 ist die Hochschule Ruhr West mit dem Projekt “Virtuelles Lehrgespräch – ein Chatbot für die Lehre”. Der Innovationspreis für digitale Bildung “delina” wird auf der LEARNTEC in vier Kategorien verliehen: frühkindliche Bildung und Schule, Hochschule, Aus- und Weiterbildung sowie Gesellschaft und lebenslanges Lernen. Hier der Link zu allen Preisträgern und Kurzbeschreibungen der Projekte: https://www.learntec.de/de/learntec/die-fachmesse/delina-award/
school@LEARNTEC
Da viele Kolleg*innen der HSE auf der LEARNTEC waren und sich bestimmt diesen großen Messe-Bereich genauer angeschaut haben, war mein Abstecher aus Zeitgründen nur kurz - ich bin gespannt, was die HSE-Kolleg*innen berichten werden. Nachdem ich letztes Jahr auf der Learntec den sehr interessanten Chatbot-Vortrag von Donald Clark besucht hatte (Link Blogbeitrag LEARNTEC 2019), nutzte ich die Gelegenheit im Bereich school@LEARNTEC einen konkreten Erfahrungsbericht zum Thema Chatbot zu hören. Der Langvortrag “Mit Chatbots selbstorganisiertes Lernen erleichtern - Erfahrungen bei Duden Learnattack” war dann auch wirklich ein Highlight und dank Funk-Kopfhörern trotz Umgebungsgeräuschen gut zu verstehen. In knapp 90 Minuten gab es einen sehr guten und offenen Bericht zum Einsatz des Chatbots Kim. Zunächst wurden (auch anhand von Literatur) Use Cases ausgewählt, die im konkreten Fall lauteten: 1. Schüler*innen direkt ansprechen und Profil ausfüllen lassen / 2. Small Talk / 3. Interaktive FAQ / 4. Suchen und Finden (Main Use Case).
Der Einsatz wurde gezielt erst einmal auf die Startseite der Anwendung Duden Learnattack begrenzt; technisch wurden Drupal, H5P und Dialogflow verwendet. Ein Chatbot muss in der Anfangsphase intensiv betreut werden und unzureichende Ergebnisse senken die Nutzung. An Aspekte wie Vertipper denkt man sicher noch, aber in der Praxis tauchten seitens der Nutzer*innen viele unerwartete Suchtechniken auf bis hin zur Erwartung, dass das Ganze “wie Google” funktioniert. Kim kam positiv an (Statements wie “sei schnell”, “hilfreich”, “witzig”, “kann coole Emojis”) und die Schüler*innen haben sich auf den Chatbot eingelassen. Viele von ihnen waren so motiviert und ausführlich, dass es für Kim schwierig wurde, während der Chatbot mit kurz gefassten, unmotivierteren Schüler*innen sehr gut zurechtkam. Erfahrungen aus Anbietersicht: Small talk ist wichtiger als erwartet und mehrheitlich erfolgte darüber der Einstieg seitens der Nutzer*innen - Haken dabei: Small Talk sei sehr schwer einzurichten. Des Weiteren: Nur die Startseite ist zu wenig, permanente Betreuung und Weiterentwicklung sind wichtig. Die Vortragenden nannten noch viele weitere Punkte und gaben einen Ausblick auf weitere Ideen, doch das würde hier zu weit führen.
Video
Video war natürlich auch ein großes Thema auf der LEARNTEC bei Ausstellern und in Vorträgen. Großen Andrang gab es im Anwenderforum bei dem Vortrag von TechSmith mit dem Titel “Videos & Lerner: Verhalten, Erwartungen und Fakten, die man kennen sollte”. Hier wurde die von TechSmith durchgeführte Studie zu den Sehgewohnheiten und Vorlieben von Zuschauern in 6 Märkten (Australien, Kanada, Frankreich, Vereinigtes Königreich, USA und Deutschland) vorgestellt. Zur Auffindbarkeit seien Titel und Beschreibung der Videos nebst professionellen Thumbnails sehr wichtig, und generell werde eine Videolänge von 3-6 Minuten bevorzugt (1 Minute sei dagegen zu wenig) - besser gesagt: “Halten Sie Ihr Video so kurz wie möglich, aber so lang wie notwendig”. Auch nach Abbruchgründen wurde gefragt und hier war der Hauptgrund “Ich habe nicht die Informationen erhalten, die ich erwartet hatte”; an zweiter Stelle folgte “das Video war langweilig”. Bei Beispielen für “gute Videos” stand eine gute Tonqualität als Merkmal ganz oben, gefolgt von Kameravideo (reale Inhalte werden gezeigt) und “Hyperlinks oder Handlungsaufforderungen vorhanden”. Wer sich für weitere Details interessiert, kann unter Angabe der E-Mail-Adresse den Ratgeber “Aktuelle Videotrends, Statistiken und Nutzergewohnheiten – Das sollten Sie wissen” kostenlos bei TechSmith anfordern: http://discover.techsmith.com/video-viewer-study-de/
Auch dieses Jahr nehme ich sehr viel von der LEARNTEC mit und bin nun gespannt auf die zugesagten weiteren Informationen der von mir besuchten Aussteller.
Abschließend noch der Link zur offiziellen LEARNTEC-Pressemeldung vom 30. Januar 2020: https://www.learntec.de/de/messe-planen/fuer-presse/pressemitteilungen/learntec-weiter-eindrucksvoll-auf-zukunftskurs.html